MITTWOCHSPALTE VOM 03. NOVEMBER 2010
Es ehrte Tübingen, wenn sein Oberbürgermeister in allen Medien groß herauskommt, wenn, ja wenn er dabei die Interessen Tübingen vertreten würde. Doch leider sitzt er bei den Stuttgart-21-Schlichtungsgesprächen auf der falschen Seite des runden Tisches. Auch und gerade für Tübingen stellt das Projekt S21 einen bedeutsamen Fortschritt dar: Eng getaktete Verbindungen in das Stuttgarter Stadtzentrum in 41 Minuten Fahrzeit, eine Halbierung der Fahrzeit zum Flughafen auf 32 Minuten, mehr direkte Städteverbindungen, ein Umstieg von Autopendlern auf der B27 auf die Bahn – ein zukunftsweisendes, eigentlich urgrünes Projekt.
Umfragen zeigen, dass die S21-Gegner nur die Gegnerschaft eint, sie aber keine bzw. völlig divergente Alternativvorstellungen haben. Versucht man, die Veröffentlichungen der Gegner – Stichwort K21 – nachzuvollziehen, so hat man seine wahre Mühe. Je nachdem, welche Auflage der K21-Broschüre man zu Rate zieht, werden unterschiedliche Vorstellungen deutlich: mal mit Flughafen-ICE-Anbindung, mal ohne. Auch die Neubaustrecke nach Ulm wird neuerdings in Frage gestellt. Vorgesehen ist hingegen ein oberirdischer Gleisbau durchs Neckartal nach Obertürkheim. Aber da wohnen ja auch weniger Grün-Wähler als in den Stuttgarter Halbhöhenlagen. Fazit: Ein stimmiges Alternativkonzept zu S21 gibt es nicht. Es wird klar: Baden-Württemberg wird in den nächsten 20 Jahren nur mit S21 eine nachhaltige Verbesserung seiner Bahninfrastruktur bekommen oder eben keine.
Das heißt nicht, dass nicht auch S21 noch optimierungsfähig ist. Die verbindliche Elektrifizierung der Gäu-Bahn und der Zollernbahn, vielleicht eine zweigleisige Wendlinger Kurve, das wären Ziele, für die unser OB seine vielgepriesene Rhetorik einsetzen sollte. Eine optimierte Planung von S21 – auch das könnte ein Ergebnis des Schlichtungsverfahrens sein. Vernünftige S21-Gegner könnten wieder von den Bäumen runterkommen und die (zweite Wendlinger) Kurve kriegen.
Und wenn das Schlichtungsverfahren scheitert? Selten hat ein Thema die Baden-Württemberger, auch die Tübinger, so polarisiert. Ein Blick in die Leserbriefspalten des Tagblatts genügt. Um wieder eine Befriedung der Gesellschaft zu erreichen, hat die SPD eine zusätzliche Legitimation von S21 durch eine Volksabstimmung vorgeschlagen. Wir vertrauen auf die Kraft der Argumente und sind zuversichtlich, die Menschen vom nachhaltigen Nutzen von S21 zu überzeugen. Leider sahen das die Mehrheitsfraktionen im Stuttgarter Landtag letzte Woche anders. Immerhin sind die Mehrheitsverhältnisse dort bald änderbar – bei der Landtagswahl im März 2011.
Dr. Martin Sökler
SPD-Fraktion