Leserbrief vom 22.02.2005;
Im Tagblatt vom 19.02 lesen wir, Stadtrat Brenner würde das Haus Neckarhalde 31 gern nach Simon Hayum benennen. Nichts ist falscher als das.
Namensgebungen sind immer strittige Angelegenheiten. Was wird jemand tun, dem an einer bestimmten Namensgebung für eine Straße, eine Schule – oder für ein Haus der Wissenschaften – gelegen ist? Er wird Argumente sammeln und sich nach Verbündeten umtun. Unproduktiv dürfte es sein, zum Auftakt alle Welt zu beleidigen und zu verdächtigen,
So aber das Vorgehen von Stadtrat B. Er bringt den Namen eines Opfers nationalsozialistischer Willkür ins Gespräch. Damit macht er sich die Befangenheit zu Nutze, die allgemein dann Platz greift, wenn es um das Andenken an frühere jüdische Mitbürger geht. Stadtrat B. ist es, der berechnend den „Gegensatz“ sucht: Hier Nazi, dort Jude. Und er versucht, sich damit unangreifbar zu machen. Wer einen jüdischen Namen nennt, ist sakrosankt. Das entspricht dem Vorgehen der hessischen CDU im Parteispendenskandal („Jüdische Vermächtnisse“).
Nun ließe sich über den „Vorschlag“ diskutieren, wobei zu Bedenken zu geben ist, dass die Bestimmung eines Hauses mit der Namensgebung korrespondieren sollte. Warum aber unternimmt Stadtrat B. alles, um diejenigen, die zu entscheiden haben, zu brüskieren. Warum nimmt er, um die Sache sicher scheitern zu lassen, einen geschätzten Ratskollegen in Sippenhaft. (Er macht das geschickt, er behauptet nichts oder nur halb, er verdächtigt, insinuiert.) Stadtrat B. will, dass sein „Vorschlag“ so, wie er ihn in Szene gesetzt hat, ohne Erfolg bleibt. Er tut alles, um ihn scheitern zu lassen, um dann den Rest der Welt als Antisemiten, als Leute, in deren Köpfen der Faschismus weiterlebt, zu denunzieren und so einen maximalen Propagandaeffekt zu erzeugen. Aber selbst das könnte man als eine seiner Widerlichkeiten abtun, wenn er nicht mit vorbarbarischer Kaltschnäuzigkeit den Namen Simon Hayums für seine Zwecke missbrauchen würde. Das ist der eigentliche Skandal. Wir erleben mit der Vergiftung der Atmosphäre im politischen Tübingen einen Hauch von Weimar. Wer dazu schweigt, macht sich schuldig!
Darauf der Leserbrief von Bernhard Strasdeit, Schwäbisches Tagblatt 25.02.2005
Immer, wenn Nationalsozialismus und Tübinger Nachkriegsgeschichte im Kontext diskutiert wird, flippt der Tübinger SPD-Stadtrat Klaus te Wildt total aus. Diese Aufgeregtheit hat Namen. Denken wir an die lange Debatte um die Gedenktafel in der Gartenstraße, wo bis 1938 die Synagoge stand. Niemand wird in Sippenhaft genommen, wenn thematisiert wird, dass die hiesige Stadtgeschichte der 50er und 60er Jahre von ehemaligen Nazigrößen bestimmt wurde.
„Widerlichkeit“, und „barbarische Kaltschnäuzigkeit“ nennt te Wildt Anton Brenners Vorschlag, das städtische Haus in der Neckarhalde 31 nach Simon Hayum zu benennen. Hayum war liberaler Stadtrat in Tübingen, Jude, Naziverfolgter. Herr te Wildt meint, über den Namensvorschlag könne man ja diskutieren – aber nicht, wenn der
Vorschlag vom bösen Anton Brenner kommt. Deshalb mein Vorschlag zur Güte: Anton Brenner zieht seinen Antrag zurück und die SPD stellt ihn dafür. Das wäre ein Beitrag zur „Entgiftung der Atmosphäre“, wie Stadtrat te Wildt das angeblich herbeisehnt.
Übrigens: Wir haben in Tübingen genügend „Häuser des Wissens“. Was viel mehr Not tut in der „Stadt des Wissens“ sind Schulsozialarbeit, bessere Kinderbetreuung, kein Abbau von Kindergarten-Plätzen, wie das jetzt von der Rathausspitze in Hagelloch vorgesehen ist.