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AKTUELLES ANTRÄGE

Antrag zur Prüfung der Aufstellung einer sozialen Erhaltungssatzung für das Gebiet oder Teilgebiete der Südstadt

Antrag:

Die Verwaltung wird beauftragt,

  1. die Struktur und die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in der Südstadt zu ermitteln;
  2. zu prüfen, ob die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in der Südstadt aus städtebaulichen Gründen nicht erhaltenswert ist;
  3. zu prüfen, ob in der Südstadt das Potential der wohnwertsteigernden Aufwertung des Gebäudebestandes besteht und – falls dieses Potential besteht – zu prüfen, ob durch solche Aufwertungen grundsätzlich die Gefahr besteht, dass sie zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung führen;
  4. zu prüfen, ob es in der Südstadt Anzeichen für solche Aufwertungsprozesse sowie für die (vermehrte) Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gibt;
  5. zu prüfen, ob dadurch in der Südstadt die Gefahr der Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen besteht und städtebauliche Maßnahmen, wie die Schaffung neuen – insbesondere preiswerten – Wohnraums für diese Gruppen, erforderlich wären, wenn ein solcher Verdrängungsprozess aufkommen sollte;
  6. zu prüfen, ob und inwieweit der Erlass einer Erhaltungssatzung für das Gebiet oder Teilgebiete der Südstadt sozial stabile Bewohnerstrukturen erhalten, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung schützen und insbesondere einkommensschwächere Haushalte sowie Mieter vor einer potentiellen Verdrängung bewahren könnte.

Die Prüfung erfolgt mittels einer vertieften sozialräumlichen Untersuchung. Ein Instrument kann dabei auch eine Haushaltsbefragung sein. Möglich ist dabei auch eine Vergabe an ein unabhängiges Büro. Ggf. erforderliche Haushaltsmittel werden in den Haushalt 2023 eingestellt.

Die Verwaltung nimmt in diesem Zusammenhang auch Kontakt mit anderen Städten auf, die bereits Erfahrungen mit Milieuschutzsatzungen gesammelt haben und prüft, was auf Tübingen übertragbar ist und aus welchen Erfahrungen wir lernen können.

Begründung:

Die Tübinger Südstadt ist ein lebendiges heterogenes Quartier, in dem Menschen aus allen sozialen Schichten und aller Einkommensklassen ihr Zuhause haben. Das soll auch so bleiben. Uns allen sind aber Beispiele bewusst, die diesem Ziel entgegenwirken und der Gentrifizierung Vorschub leisten. Es ist gut und richtig, dass die Verwaltung Möglichkeiten prüft, wie „gegen überhöhte Mieten im Bestand aktiv vorgegangen werden kann“. Es ist aber umso weniger einsehbar, dass ein Instrument, das andere Städte wie Stuttgart, Freiburg oder Karlsruhe nutzen, ohne vertiefte Prüfung verworfen werden soll. Letztlich läuft die Argumentation der Verwaltung alleine darauf hinaus, dass sie den Arbeitsaufwand scheut, der nach ihrer Auffassung den – aber gar nicht vertieft erhobenen – möglichen Nutzen nicht rechtfertigen würde.

Wir leben in einer Stadt und tragen Verantwortung für eine Stadt mit einem der höchsten Mietniveaus der Republik. Das sollte Anlass genug sein, alle verfügbaren Instrumente, um Gentrifizierung zu verhindern, eingehend zu prüfen und möglichst auch selbst Erfahrungen mit ihnen zu sammeln. Bewährt sich eine Milieuschutzsatzung in der Südstadt, kann die Aufstellung auch für andere Quartiere geprüft werden.

Durch die Erhaltungssatzung werden keine wünschenswerten und energetisch erforderlichen Sanierungen verhindert – diese müssen gem. Â§ 172 Absatz 4 Satz 3 BauGB genehmigt werden. Danach bleiben ebenso der Eigentumserwerb durch Erbfall, der Eigentumserwerb innerhalb von Familien zur eigenen Nutzung sowie der Eigentumserwerb mit der Verpflichtung, dass in den Folgejahren nur an die Mieter veräußert wird, unproblematisch zulässig.

Die Erhaltungssatzung verhindert auch sonst keine Veränderungen als solche. Vielmehr wird der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall zu prüfen, ob ein konkretes Bauvorhaben die Gefahr birgt, dass durch die bauliche Veränderung das Gebäude z.B. deutlich teurer vermietet werden kann bzw. soll und dadurch die bisherigen Bewohner des Stadtteils verdrängt werden könnten. Die Bauvorhaben, die negative Auswirkungen haben, können mit diesem Instrument identifiziert und entsprechend beurteilt werden.

Es ist – nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 9.11.2021 dazu urteilte – zu erwarten, dass der Bundesgesetzgeber in der nächsten Zeit die gesetzliche Regelung zum Vorkaufsrecht der Gemeinden im Gebiet von Erhaltungssatzungen dahingehend ändern wird, dass von dem Vorkaufrecht nicht mehr nur Gebrauch gemacht werden darf, wenn im Zeitpunkt des Verkaufs bereits die konkrete Gefahr besteht, dass durch den Eigentumsübergang als solcher die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung verändert wird, sondern durch den Verkauf in absehbarer Zeit eine solche Gefahr entsteht, sprich, wenn das Haus gekauft und absehbar z.B. luxussaniert wird. Von einer solchen – im Koalitionsvertrag festgelegten und damit in Bälde zu erwartenden – bundesgesetzlichen Änderung könnte die Stadt am wirkungsvollsten Gebrauch machen, wenn das Gebiet dann bereits per Satzung festgelegt ist. Würde die Stadt erst zu handeln beginnen, wenn die bundesgesetzliche Änderung verabschiedet ist, könnten etliche Verkäufe noch abgewickelt werden, ohne dass die Stadt durch das Vorkaufsrecht eingreifen könnte.

Für die SPD-Fraktion:

Dr. Martin Sökler