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MITTWOCHSPALTEN

S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche.*

MITTWOCHSPALTE DER SPD-FRAKTION VOM 21.03.2012

Bei aller stadtplanerischen Übereinstimmung im Übrigen – der verbissene Kampf der Verwaltungsspitze gegen ein Decathlon am Standort „Marktkauf“ ist bei der SPD-Fraktion auf völliges Unverständnis gestoßen. Was spricht in einer Stadt mit 88.000 Einwohnern gegen einen Sportartikelmarkt im günstigen Preissegment an einem bereits eingeführten Handelsstandort? 300 m entfernt haben wir ein großes Handelszentrum – mit Sporthaus! Nein, in der Kernstadt sind wir dort nicht, aber in einem Randgebiet schon gleich gar nicht. Die beauftragten Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass Tübingen in dieser Lage einen Decathlon-Markt verträgt. Der OB aber, der diese Gutachter vorgeschlagen hat, akzeptiert das nicht und hat es geschafft, den Bewerber zu vergraulen. 1a Leistung für eine Stadt mit einer Kaufkraftbindung von gerade mal 70 %. – Tübinger, ab nach Plochingen! – Herzlichen Glückwunsch zum Großen Schilda-Orden am Grünen Band.
Der örtliche Sporthandel wehrt neue Konkurrenz ab, wir wollen Wettbewerb. Städtisches Handeln muss vor allem auch das Wohl derer im Blick haben, die mit einem schmalen Geldbeutel auskommen müssen. In Tübingen gibt’s einen hohen Anteil an Gutverdienern, an Menschen mit akademischen Hintergrund, die die wachsende Ungerechtigkeit in der Gesellschaft beklagen, dann aber auch im hochpreisigen Fachhandel einkaufen können, die ethische Ansprüche hochhalten und, gewollt oder nicht, Distanz halten zu jenen, für die all dies Luxus ist. Da sind die Alleinerziehenden mit ihren Kindern (die rasch aus den Klamotten rauswachsen) oder durchaus auch normal verdienende Familien, die gerade so über die Runden kommen. Denen gehen Begriffe wie Nachhaltigkeit, Fairer Handel, ökologische Erzeugung nicht eben leicht von den Lippen. Sie müssen auf den Preis schauen und auf Sonderangebote achten, um wenigstens ein bisschen mithalten zu können. Man kann sagen was man will: Aldi, H&M, Ikea, und auch Decathlon helfen, Unterschiede einzuebnen oder wenigstens erträglicher zu machen. Ihre Existenz am Markt sorgt für einen gewissen sozialen Ausgleich. Die, die sich etwas darauf zugutehalten, Verzicht zu üben, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, „Made in Germany“ zu kaufen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie privilegiert sind. Bewusstes Einkaufen ist schön und gut, es gibt aber auch Leute, die notgedrungen auf preisgünstige Ware vom Discounter angewiesen sind. Sie dürfen nicht mit einem Schulterzucken ausgegrenzt (und nach Plochingen geschickt) werden.

Klaus te Wildt

*Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Marie-Antoinette (fälschlicherweise) zugeschrieben.