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Haushaltsrede 2021

Video: Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Martin Sökler zum Haushaltskompromiss 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Anders als in den vergangenen Jahren ist es in diesem Jahr nicht gelungen, eine breite Verständigung im Rat über den Haushalt herzustellen. Es ist einerseits schade – das ja auch im Verfahren besondere Tübinger Vorgehen hat seinen Charme – es ist aber andererseits auch kein Weltuntergang sondern ein normaler Vorgang in der Politik, dass auch Haushaltsbeschlüsse strittig diskutiert werden.

Woran ist ein breiter Konsens im Rat letztlich gescheitert? An zwei Fragen:

1. Können der Verwaltung noch über die im Haushalt ohnehin schon vorgesehenen 7,5 Millionen € hinaus Einsparauflagen aufgebürdet werden ohne konkret Projekte und Zuschüsse zu streichen beziehungsweise Standards zu senken, wenn doch schon die 7,5 Millionen ganz überwiegend nicht durch hinterlegte Projekte konkretisiert sind. Unsere klare Antwort: nein

2. Sind Steuererhöhungen aktuell vertretbar? Bei dieser Frage gibt es Argumente dafür und dagegen. Das ist nicht schwarz-weiß. Wir meinen: wer in der Pandemie einen starken Start schätzen gelernt hat, der muss sich auch Gedanken über seine Refinanzierung machen. Und zweitens:  wenn wir unser beschlossenes Klimaschutzprogramm ernst nehmen und in Tübingen mehr Ehrgeiz an den Tag legen als anderswo, dann hat dies auch Konsequenzen für den Refinanzierungsbedarf der Stadt.  

Man kann über den richtigen Zeitpunkt für die Steuererhöhungen streiten. Im letzten Jahr wären sie sicher falsch gewesen zu einem Zeitpunkt, zu dem das Ende der Pandemie noch in keiner Weise abzusehen war. Heute jedoch dürfen wir davon ausgehen, dass wir mit dem Voranschreiten der Impfungen im Sommer aus der Pandemie herauskommen. Gerade heute prognostizieren die Wirtschaftsweisen unverändert trotz des Dauer-Lockdowns ein Wachstum für 2021 von immerhin 3 Prozent. Vielleicht wäre theoretisch trotzdem nächstes Jahr ein besserer Zeitpunkt für Steuererhöhungen gewesen. Nur ich würde darauf wetten, dass dann das heutige Argument, dass Belastungen in der Krise auf alle Fälle zu vermeiden sind, nahtlos abgelöst werden würde durch das Argument, dass bei Wirtschaftswachstum und wieder steigenden Steuereinnahmen sich Steuererhöhungen verbieten, weil sie unnötig seien und der Staat auf allen Ebenen mit dem, was er hat,  zurecht kommen müsse. Wir werden aber aus den Corona-Schulden nicht einfach herauswachsen und gleichzeitig den Anforderungen insbesondere beim Klimaschutz gerecht werden können. So sieht es zumindest Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich zitiere: „Es ist unehrlich von manchen in der Politik zu behaupten, man könne wie in der Finanzkrise einfach wieder aus den Schulden herauswachsen.“ Er hält Steuererhöhungen für unvermeidbar, um die Pandemie-Schulden zu bewältigen und gleichzeitig in Klimaschutz und Digitalisierung zu investieren. Dies spiegelt auch unsere Tübinger Situation. Er verweist dabei ausdrücklich auf die geringe Vermögensbesteuerung in Deutschland und plädiert für eine stärkere Besteuerung von Grund und Boden sowie eine Ausweitung der Erbschaftssteuer. Eine Art kommunale Vermögenssteuer ist die Grundsteuer. Sie würde zu einer wirklichen Vermögenssteuer, wenn die im Antrag der Linken-Fraktion geforderte Unterbindung der Umlegung auf die Mieter in Berlin Gehör finden würde. Wir unterstützen diesen Antrag ausdrücklich. Ähnliche Initiativen gab es vor wenigen Jahren vom SPD-geführten Justizministerium – das ist gescheitert an der CDU – und gibt es aktuell im Bundesrat vom Berliner Senat.  Zudem ist die Argumentation des Oberbürgermeisters richtig, dass mit der aktuellen Erhöhung allein ein Inflationsausgleich vorgenommen wird. Wir wollen gleichzeitig für unseren Teil bekräftigen, dass die Umstellung der Grundsteuerberechnung im Jahr 2025 in der Summe aufkommensneutral erfolgen soll.

Mit dem Ziel, die Lasten auf alle Schultern zu verteilen, halten wir auch eine vorsichtige Erhöhung der Gewerbesteuer für richtig. Mit der im Haushaltskompromiss erfolgenden Übernahme des Verwaltungsvorschlags wird sie um circa 2,5 % erhöht. Wir bleiben damit weiterhin unter dem Hebesatz in Reutlingen. Übrigens tragen sich nach einer Umfrage aktuell zwei Drittel aller Kommunen mit Gedanken, Steuern und Abgaben zu erhöhen.

Das ist kein Selbstzweck: wir wollen aber ran an die konkrete Umsetzung des Klimaschutzprogramms. Besonders viel Vorarbeit geleistet haben wir in Tübingen auf dem Gebiet der Mobilität. Deshalb ist auf diesem Feld eine rasche Umsetzung von Maßnahmen möglich. Die SPD freut sich sehr, dass die Mehrheit des Gemeinderats mit uns mitgeht, auch AL/Grüne und manche, die dem Haushaltskompromiss insgesamt nicht zustimmen können, und wir zur Jahreswende 2021/22 relevante Angebotsverbesserungen und abgestimmte Tarifsenkungen auf das Niveau eines 365 € Tickets umsetzen werden. Wir streben dabei auch eine weitere Absenkung des Preises für die Schülertickets von 22 € auf das Niveau des Semestertickets von 18,24 €  an. Für dieses Paket stellen wir jetzt die Weichen. Für uns ist die deutliche Erhöhung der Parkgebühren, die wir mittragen, gedanklich immer mit einem solchen Schritt gekoppelt gewesen. Kurz- bis mittelfristig wird als Finanzierungsinstrument auch eine Nahverkehrsabgabe zur Verfügung stehen, die anders als Steuern oder Parkgebühren tatsächlich zweckgebunden in den ÖPNV fließen kann. Wir sind dafür bereit.

In diesem Haushalt können wir Sozialdemokraten weitere wichtige Akzente setzen. Wir erreichen Verbesserungen für PACT, für die Ausbildungsförderung Geflüchteter, für den Lernort Berghof, die Förderung der Artenvielfalt und das Umweltzentrum. Wir verhindern die Kürzung der Zuschüsse für die Volkshochschule und kulturelle Bildungseinrichtungen. Wir beteiligen uns an der Sanierung des jüdischen Friedhofs in Wankheim und wir sorgen für eine Optimierung des Streamings von Gemeinderatssitzungen durch die Installation von drei Kameras, ein kleiner Beitrag zu Transparenz und barrierefreier Beteiligung in der kommunalen Demokratie.

Wir tun etwas für die Teilorte durch die Ermöglichung des Multifunktionssportfeldes in Hirschau und das Vorziehen von Maßnahmen an der Ortsdurchfahrt in Unterjesingen.

Wir haben auch die Vorschläge der Fraktionen, die dem Haushaltskompromiss heute nicht zustimmen werden, aufmerksam gelesen. So werden die Gelder für die Sanierung der Schulhofmauer an der Hügelschule mit einem Sperrvermerk versehen verbunden mit der Aufforderung an die Verwaltung, eine kostengünstigere Lösung im Gespräch mit dem Denkmalamt zu finden.

Tübingen hat einen super Jugendgemeinderat, der – das ist soweit ich das überblicke Premiere – drei Haushaltsanträge gestellt und sich weitgehend damit durchgesetzt hat. Gratulation.

Wir Sozialdemokraten werden, das wird niemand überraschen, diesem Haushalt zustimmen. Wir gehen einen mutigen Schritt auf einem wichtigen Feld der Klimaschutzpolitik, der Mobilität. Dies hat neben der ökologischen Komponente der Stärkung des ÖPNVs auch einen wichtigen sozialen Aspekt. Wir machen Schluss mit der ständigen Verteuerung des ÖPNVs gegenüber dem Auto und schaffen hier eine echte Trendwende.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.